Haben wir keine anderen Probleme?
In der letzten Sitzung der Elzer Gemeindevertretung standen (unter anderem) zwei Themen auf der Tagesordnung: die stärkere Beteiligung der Elzer Mädchen an der Vorbereitung der Kirmes und die Gestaltung der Schwimmbadfassade. Was stand zur Abstimmung?
- Die Kirmesburschen sollen sich mit den Mädchen zusammensetzen und deren Vorschläge anhören. Was sie seit neun Monaten verweigern.
- Es gibt Menschen, die sich an der Schwimmbadfassade stören. Darüber soll gesprochen werden – live und nicht nur auf Facebook.
Das war’s. Wow.
Obwohl die Mehrheitsverhältnisse zugunsten des progressiven Bündnisses aus Bürgerliste und SPD klar waren und das Abstimmungsergebnis damit von vornherein feststand, debattierte die Elzer CDU, als gelte es, den Untergang des Abendlandes selbst abzuwenden.
Redebeitrag folgte auf Redebeitrag, eigenwillige Definitionen des Begriffs „Sexismus“ wurden präsentiert und das Wort „divers“ wurde betont, als handele es sich um etwas Ekliges. Und zuverlässig wurde in den Reden oder später in von CDU-Fans verfassten
Beiträgen auf Facebook die Frage gestellt: „Haben wir keine wichtigeren Probleme?“
Diese Frage ist ebenso hinterhältig wie scheinheilig.
Erstens geht es im Kern der Debatte um die Frage, inwieweit wir als Gesellschaft bereit sind, Frauen und gesellschaftlichen Minderheiten eine gleichberechtigte Beteiligung an der Gestaltung des öffentlichen Lebens zuzugestehen.
Mit der Frage „Haben wir keine wichtigeren Probleme?“ wird unterstellt, es handele sich dabei um nichts, was es zu diskutieren lohne. Das sehen wir anders (und finden es schockierend, dass diese Frage sogar von CDU-Frauen immer wieder gestellt wird. Im Jahr 2023!).
Zweitens hätten alle Beteiligten mehr Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern, wenn nicht von konservativer bis rechter Seite immer jeder kleine Schritt in Richtung Gleichberechtigung gleich zum Kulturkampf erklärt würde. Auch das Thema „Gendern“ wird überwiegend von dessen Gegnern diskutiert. Und so gab es auch in keiner Sitzung der Elzer Gemeindevertretung so viele Redebeiträge zu einzelnen Themen wie in der letzten. Ein Thema erst selbst so aufzublasen, und dann zu fragen „Haben wir keine wichtigeren Probleme?“, ist einfach nur verlogen.
Im Übrigen muss man auch klar feststellen, dass es überhaupt nicht notwendig gewesen wäre, beide Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Hätte der Bürgermeister, wie über Wochen und Monate gefordert, seine Rolle als Vertreter aller Bürgerinnen und Bürger ernst genommen und in den offensichtlich bestehenden Konflikten vermittelnd und moderierend eingegriffen, wären die Auseinandersetzungen nie so eskaliert. Ob er die Eskalation bewusst herbeigeführt hat, kann nur der Bürgermeister selbst beantworten.